Marvel Anime – Ein Nachruf

Marvel Anime – Ein Nachruf

2009 kündigte Marvel Entertainment auf der San Diego Comic-Con eine großangelegte Offensive auf den japanischen Markt an. In Japan sind Animeserien und Filme die dominanteste Kunst und Unterhaltungsform. Auch Marvel wollte ein Stück von diesem Kuchen, womit Marvel Anime ins Leben gerufen wurde. Marvel Anime war eine Kooperation zwischen Marvel Entertainment, Sony Pictures und dem japanischen Animationsstudio Madhouse. Zur damaligen Zeit ein Paukenschlag. Denn Madhouse ist eines der größten und meist respektierten Studios der Animeszene und verantwortlich für Serien wie Ninja Scroll, Death Note oder heutzutage One Punch Man.


First Steps

Angekündigt wurden insgesamt vier  Animeserien. Jede Staffel bestand aus 12 Episoden. Die angekündigten Serien waren Iron Man, Wolverine, X-Men und Blade. Diese sollten nacheinander zwischen Oktober 2010 und September 2011 auf Animax ausgestrahlt werden.  Marvel erteilte dem Animationsstudio komplette Freiheiten was die Realisierung der Serien anbelangte. Als Synchronstimmen  für die englischsprachige als auch japanische Lokalisation, wurden  bekannte Schauspieler und Sprecher verpflichtet. Zusätzlich engagierte Marvel noch den bekannten Comicautor Warren Ellis als Schreiber der Serien.

© Sony Pictures Home Entertainment

Tokyo Calling

Doch wie wollte Marvel das Japanische Publikum überzeugen? Eine ziemliche Mammutaufgabe. Animes und Mangas sind nicht nur bloße Unterhaltungsmedien, sondern auch Teil und Spiegel der japanischen Kultur. Es gibt wenige Länder in der die  Popkultur so stark mit der einheimischen Kultur verwurzelt ist wie es in Japan der Fall ist. Dazu kommt noch, dass die Animeszene einer der umkämpftesten Märkte überhaupt ist. Westliche Verfilmungen, egal ob real oder animiert, haben es grundsätzlich schwer in Japan. Marvel wiederum setzte dennoch alles daran sich in Japan durchzusetzen und von dem lebhaften Animemarkt zu profitieren.

© Sony Pictures Home Entertainment

Big in Japan 

Die Rahmenhandlung der einzelnen Serien sollte in Japan stattfinden.
Selten spielten Animes nicht in Japan und wenn, dann in einem fiktiven Setting. Marvel gab, wie oben bereits erwähnt, nichts vor sondern überließ Madhouse die Entwicklung der Serien. Die Serien richteten sich eindeutig an ein erwachsenes Publikum, denn im Gegensatz zu westlichen Trickserien, werden Animes auch explizit für ältere Zuschauer produziert. Neben dem Setting war es wichtig  japanische Nebencharaktere einzuführen oder bereits existierende japanische Figuren aus den Marvel Comics in den Plot zu implementieren. Zum Beispiel bekam die Figur Armor – die 2004 ihr Comicdebüt gab – eine tragende Rolle im X-Men Anime, während für den Blade Anime eine Eigenkreation namens Makoto eingeführt wurde. Somit sollten Identifikationsfiguren für die japanischen Zuschauer geschaffen werden. Auch bei Iron Man setzte man diese Methodik um. Bei Wolverine wirkte das natürlicher, weil ein großer Teil der Figurenhistorie bereits eng mit Japan verbunden war.  Apropos Verbunden: Es gab lose Verknüpfungen der Serien. So tauchte Wolverine in der Blade und Iron Man Serie auf. Während Cyclops von den X-Men einen Gastauftritt in der Wolverine Serie hatte.

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I am …Anime!

Marvel nutzte ihre damals bekanntesten Figuren. Alle hatten zuvor mit erfolgreichen Kinofilmen auf sich Aufmerksam gemacht und das sah Marvel als besten Grund, um diese Charaktere auch in Anime-Form zu etablieren. Den Anfang machte Iron Man, der 2 Jahre zuvor den Start des Marvel Cinematic Universe [MCU] einläutete und damit für einen ziemlichen Hype sorgte. Das technologische an Sci-Fi angelehnte Setting von Iron Man war in Animes sowieso gern gesehen. Mit Wolverine so wie den X-Men erhoffte man sich auch eine sichere Bank. Wolverine, weil die Figur in den Comics ohnehin mit Japan verwurzelt war und der einsame „Ronin“ Charakter gut zur japanischen Erzählstruktur passte, und die X-Men weil große Casts mit verschiedenen Figuren und Kräften auch ein typisches Anime Merkmal sind. Blade passte ebenfalls gut ins Konzept, da Slasher und Vampirelemente häufig in Animewerken stattfinden.


Solid Effort

Gescheitert ist das Projekt Marvel Anime letztendlich an der Umsetzung und der eigenen Durchschnittlichkeit. Und das war eben nicht der Anspruch den Marvel, Sony und Madhouse verfolgt hatten. Zwar machten die Staffeln animationstechnisch einiges her, doch das Design und die Konzipierung der Figuren waren vielen Zuschauern ein Dorn im Auge. Japanische Animation und Zeichenkunst haben eine andere Grundlage und ein anderes Verständnis von Figuren. Und dieses Verständnis auf westliche Charaktere zu übertragen passte vielen Zuschauern und Fans nicht. Gerade weiblichen Figuren kamen da nicht sonderlich gut weg. Ein weiteres Problem war die Findung der Zielgruppe. Für den japanischen Markt waren die Serien doch zu westlich und für die westlichen Zuschauer zu japanisch. Und für die wenigen Fans die sowohl Anime als auch Marvel mochten, waren die Serien zwar nicht schlecht, aber auch nicht gut genug. Und nur Durchschnitt zu sein in der heiß umkämpften Animeszene ist für solch ein Mammutprojekt zu wenig.

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Sayonara?

Nachdem 2011 die letzte Folge der Blade Serie ausgestrahlt wurde gab es keinerlei öffentliche Stellungnahmen wie und ob es mit Marvel Anime weiter gehen würde. Alles deutete aber auf einen leisen Abschied hin. Im Jahr 2013 folgte überraschend der Anime-Film Iron Man: Rise of Technovore, welcher ohne viel Aufmerksamkeit direkt auf DVD veröffentlicht wurde und eine lose Fortsetzung des Iron Man Animes war. Nochmal ein Jahr später erschien mit Avengers Confidential: Black Widow & Punisher ein weiterer und bis dato letzter Direct-to-DVD Film unter dem Marvel Anime Banner. Bis 2019 musste man auf ein öffentliches Statement warten. Auf der Anime Expo 19 sprach Sony Pictures Vizepräsident Tony Ishizuka – nachdem ein Fan ihn auf Marvel Anime ansprach – offiziell von einem “ Fehlschlag“. Doch auch wenn das Label  Marvel Anime eingestellt wurde, aufgehört Animes zu produzieren hat Marvel trotzdem nicht.Mit Marvel Disk Wars: The Avengers produzierten Toei und Disney Japan 2014 eine Animeumsetzung zu einer beliebten Kinderspielzeug Serie von Bandai.  2017 reaktivierte Marvel ihre Zusammenarbeit mit Madhouse und kreierte die Kinderserie Marvel Future Avengers die aktuell 2 Staffeln hat und auf dem Disney Channel ausgestrahlt wird!

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One More Time?

Ob Marvel jemals wieder Animes wie zu Marvel Anime Zeiten produzieren wird ist wohl eher unwahrscheinlich. Vielleicht hätte man sich anstatt mit einer Großoffensive langsam mit kleineren Schritten in den japanischen Markt wagen sollen. Oder vielleicht war es zu der damaligen Zeit schlicht und einfach zu früh, um solche Schritte zu wagen. Aber mit dem heutigen globalen Erfolg im Rücken, den  Marvel dank der Filme heute hat – wäre ein erneuter Versuch gar nicht so abwegig. Zu wünschen wäre es!

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